Menschenkette als Zeichen der Solidarität: Positives Fazit nach Versammlung

Die Allianz für Weltoffenheit, Solidarität, Demokratie und Rechtsstaat – gegen Intoleranz, Menschenfeindlichkeit und Gewalt hatte am Sonntagabend (12.11.) um 18 Uhr zu einer Menschenkette als Zeichen der Solidarität an der Alten Synagoge Essen aufgerufen. Dem sind 4.500 Essenerinnen und Essener gefolgt. Die Organisatorinnen und Organisatoren freuen sich über den großen Zuspruch und ziehen nach der Veranstaltung ein durchweg positives Fazit.

Während der Versammlung ist es zu keinerlei Zwischenfällen gekommen. Die Allianz-Partner sowie weitere Unterstützerinnen und Unterstützer aus der Stadtgesellschaft haben ein Banner mit einer gemeinsamen Botschaft gezeigt. Die Reden wurden von einer musikalischen Begleitung eingerahmt.

Nach den Ansprachen konnten mitgebrachten Lichter vor der Alten Synagoge abgestellt werden. Die Organisatorinnen und Organisatoren danken allen, die zu diesem starken Zeichen für Frieden und Toleranz beigetragen haben.

Im Folgenden dokumentieren wir die Begrüßungsrede von Oberbürgermeister Thomas Kufen (es gilt das gesprochene Wort). Die Rede ist auch auf Youtube zu sehen, zusätzlich mit arabischen und hebräischen Untertiteln versehen ist: https://youtu.be/DS3SP7gHzuc.

 


Sehr geehrter Herr Chemsuraschwili,
sehr geehrte Frau Superintendentin Greve,
sehr geehrter Stadtdechant Schmidt,
sehr geehrter Herr Hajdarovac,
sehr geehrte Anwesende,

eine breite Allianz aus verschiedenen Partnern hat heute zu Solidarität und dem Schutz von jüdischem Leben in Essen und des Staates Israel eingeladen. Ich danke allen, die sich deshalb heute hier versammelt haben.

Die Allianz verurteilt die Terrorangriffe der Hamas. Gleichzeitig fordert sie humanitäre Hilfen für die Menschen im Gaza-Streifen. Denn das erscheint heute, recht genau einen Monat nach dem furchtbaren Terroranschlag der radikalislamischen Hamas auf Jüdinnen und Juden in Israel und antisemitischen Demonstrationen auch hier in Essen notwendiger denn je.

Vor zwei Tagen habe ich in der Alten Synagoge mit vielen anderen der grausamen Verbrechen vor 85 Jahren gedacht, die in der Reichspogromnacht 1938 ihren Ausgangspunkt fanden. Konnten wir seit dem Ende des Zweiten Weltkrieg immer in der Vergangenheitsform sprechen, so bildet das Jahr 2023 auf schreckliche Art eine Zeitenwende.

Denn am 7. Oktober 2023 wurden so viele Jüdinnen und Juden ermordet, wie seit den Tagen der Shoa nicht mehr. Für die Bestialität der Täter, die weder vor Alt noch Jung, weder vor Mann, Frau oder Kindern Halt machte, gibt es kaum Worte.

Es ist auch die schamlose und hasserfüllte Zurschaustellung der Taten mit denen gefoltert, gedemütigt, vergewaltigt und gemordet wurde, die alle zivilisierten Menschen sprachlos machen muss.

Der NS-Staat verheimlichte und vertuschte die Vernichtung jüdischen Lebens. Die Mörder von heute feiern sich für ihre Taten auch noch in aller Öffentlichkeit. Umso verstörender sind der Jubel und der Hass von Hamas-Anhängern. Und es sagt viel über die moralische Verfasstheit der Unterstützer auch hier in Deutschland anlässlich dieser entmenschlichten Barbarei aus.

Mein Mitgefühl und meine Trauer sind in diesen Zeiten beim israelischen Volk und allen Angehörigen hier in Essen, die in Israel Verwandtschaft haben. Aber meine Gedanken sind auch bei allen, die angesichts der aktuellen Ereignisse verunsichert und verängstigt sind.

Gerade auch die Demonstrationen vom vergangenen Wochenende haben unter den Essenerinnen und Essenern – nicht nur bei den jüdischen Bürgerinnen und Bürgern – tiefe Verunsicherung, Ängste und Zorn ausgelöst. Denn natürlich fühlen wir in Essen auch mit der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen, die Opfer eines Krieges geworden ist, den die Hamas mutwillig angezettelt hat.

Dass wir in einer solchen Situation mit allen Opfern des Krieges fühlen, ist Ausdruck unserer Menschlichkeit und Zeichen unserer Empathie. Aber den Initiatoren der Demonstrationen vom letzten Wochenende ging es offensichtlich weniger um das Leid der Menschen im Gaza-Streifen, sondern viel mehr um die Verbreitung
radikalislamistischer Parolen.

Hier sehe ich mit Sorge, dass im Zuge der aktuellen Debatten auch islamische Einrichtungen und Menschen muslimischen Glaubens, die zu unserer Verfassung und Werten stehen, vorverurteilt und ausgegrenzt werden.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger nannte Ende Oktober, nur zwei Wochen nach den Morden der Hamas eine erschreckende Zahl: um 240 Prozent stieg die Zahl antisemitischer Vorfälle im Oktober im Vergleich zum Vorjahresmonat in Deutschland an. Es zeichnet eine wehrhafte Demokratie aus, dass sie sich ihrer Feinde erwehrt. Wir müssen Fremdenhass, Antisemitismus und Rassismus mit allen demokratischen Mitteln entgegentreten.

Der Bundeskanzler war eindeutig in seinen Worten und auch der Vizekanzler war hier klar aufgestellt: für Deutschland kann es nur einen Platz geben: den Platz fest an der Seite Israels.

Auch der Landtag Nordrhein-Westfalen hat in einem Antrag vom 17. Oktober 2023 seine Solidarität mit Israel und den jüdischen Mitmenschen in unserem Land bekräftigt. Diese Haltung teile ich und begrüße sie ausdrücklich. Die Ereignisse des vergangenen Wochenendes sind daher auch ein erster Prüfstein, für diese starken Worte. Ich erwarte, dass in der Bundes- und Landespolitik die notwendigen Entscheidungen folgen. Denn Antisemitismus ist kein „Privileg“ nur einer Gruppe, Kultur, Ethnie oder Religion; er kommt von rechts, links und allzu oft auch aus migrantischen Communities.

Wir müssen hier selbstkritisch anerkennen, dass besonders der eingewanderte Antisemitismus von Deutschland zu lange ignoriert und verharmlost wurde. Das zu erkennen und entschlossen in der Schule, der Strafverfolgung und der Justiz anzugehen, ist der wichtigste Schritt, um Jüdinnen und Juden zu signalisieren, dass Deutschland auch in Zukunft eine sichere Heimat für sie ist.

Dafür will ich mich auch künftig einsetzen.

Sehr geehrte Damen und Herren, heute sind wir zusammengekommen, um für Weltoffenheit, Solidarität, Demokratie und Rechtsstaat gegen Intoleranz, Menschenfeindlichkeit und Gewalt ein Zeichen zu setzen. Die Ereignisse, ob vor 85 Jahren, oder in den vergangenen vier Wochen mahnen uns aufmerksam und bereit zu sein; denn Freiheit und Vielfalt, Frieden und Miteinander sind kein Naturgesetz.

Man muss dafür jeden Tag eintreten und bereit sein, diese Werte zu verteidigen! Dazu sind wir in Deutschland seit dem 7. Oktober 2023 mehr denn je wieder aufgefordert!

Vielen Dank, dass Sie alle heute hier sind und aus Essen ein Zeichen der Solidarität senden. Lassen Sie uns auch in Zukunft gemeinsam für Vielfalt, für Toleranz und für Frieden einstehen.

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Foto: Moritz Leick
Foto: Moritz Leick
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Foto: Georg Lukas